TENNIS MIT ALLEN SINNEN

 

   Unkonventionelle Methoden im Tennisunterricht

Auf den folgenden Seiten gibt es jede Menge Informationen und Vorschläge in Bezug auf die erfolgreiche Gestaltung von ganzheitlichem Tennisunterricht. Geschrieben von Frercks Hartwig und erschienen in TennisSport 6/99.

”Optimales Lernen kann nur stattfinden, wenn rechte und linke Gehirnhälfte zusammenarbeiten”
Katja Riedel

“Die Vorstellungen über Lehren und Lernen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gravierend gewandelt. Lange herrschte die Ansicht, dass Lernende “wie durch einen Trichter” mit Wissen und Verhaltensweisen “gefüllt” werden müssen. Nicht selten wurde sogar versucht, dieses Wissen mit Gewalt einzuflößen. Doch die Zeiten vermeintlich eindeutiger und nicht hinterfragbarer Bewegungsvorschriften sind auch bei der Technikvermittlung in den Rückschlagspielen vorbei. Seriöse Unterrichtsmethoden orientieren sich an den Lernenden, an deren Bedürfnissen und Interessen. Der 5-malige schwedische Wimbledonsieger Björn Borg hat schon vor Jahren gefordert: “Lass’ Dich nicht von rigorosen Tennislehrer-Regeln beeinflussen. Entdecke lieber Deine individuellen Fähigkeiten, habe keine Angst davor, mit allem herumzuexperimentieren, das Deinem Spiel zugute kommt.”
zitiert nach Stefan Schaffelhuber: Innercoaching, Frankfurt 1993

 

Lehren im Sport bedeutet daher heute unter anderem

  • innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen und unter Beachtung der Regeln des Spiels, dem Schüler zu gewährleisten, mit der ihm eigenen Kreativität individuelle technische und taktische Lösungen zu finden
  • sich an einer Trainingsphilosophie zu orientieren, so daß Tennistraining in einem ganzheitlichen Zusammenhang stattfindet, daß es ein Lernen, Üben, Trainieren mit Körper, Geist und Seele, mit allen Sinnen ist
  • unter Ausnutzung der Erkenntnisse der Lernbiologie und der Lernpsychologie Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen der Lernende physische und psychische Blockierungen überwinden und sein gesamtes Potential an Fähigkeiten entfalten kann.

Menschliche Informationsverarbeitung ist ein Vorgang, bei dem es sich um ein Zusammenwirken kognitiver und emotionaler Prozesse handelt. Sie schließt Wissen um Dinge, Zustände und Ereignisse sowie emotionale Daten ein (Literaturtip: Katja Riedel: Persönlichkeitsentfaltung durch Suggestopädie, Baltmannsweiler 1995). Gerade Gefühle spielen bei Lernprozessen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Unangenehme bis schmerzhaft wirkende Reize können kreatives und bedeutsames Lernen be- oder sogar verhindern. Lernen unter Angst (Angst vor Bestrafung oder vor Mißerfolg) schränkt die innovative, individuelle Suche nach situativen technischen Lösungen und den erfolgreichen Umgang mit schwierigen taktischen Aufgaben ein. Dadurch bedingtes Vermeidungsverhalten führt zu Lernblockaden und damit zur Einschränkung möglicher Lösungswege. Lernen als selbstbestimmte Entwicklung des technischen und taktischen Repertoires gedeiht nur in einer Atmosphäre, die den Interessen, Zielen und Wünschen des Einzelnen gerecht wird.

Auf den folgenden Seiten gibt es noch mehr Hintergrundwissen und Vorschläge für ganzheitlichen Tennisunterricht. Unbedingt Lesen!

 

 

  ASPEKTE GANZHEITLICHEN LERNENS

 

Die Wahrnehmungskanäle

 

Alle Informationen werden über unterschiedliche Wahrnehmungskanäle aufgenommen. Die haptische oder taktile Wahrnehmung öffnet über das “Be-Greifen”, über das Fühlen den Zugang zu neuen, zu optimierten Bewegungsformen, zu neuem Wissen und Handeln.

Eine andere Art der Wahrnehmung ist das Lernen über das Auge, die Aufnahme durch Beobachtung. Die Bewegungsdemonstration, notwendig für die optische, visuelle Wahrnehmung ermöglicht hier den Zugang zum Neuen. Auch Bilderserien und Videoaufnahmen unterstützen diesen Wahrnehmungskanal.

Die auditive Wahrnehmung, d. h. die Aufnahme und das Verständnis von neuen Informationen über das Hören bedarf der verbalen Beschreibung einer Bewegung. Bei diesem Sinneseindruck steht das Lernen über das Verstehen in der Kommunikation im Vordergrund. Techniken müssen erklärt und besprochen werden, um sie in das Bewegungsrepertoire aufnehmen zu können.

Die kinästhetische Wahrnehmung erfolgt über das Ausführen von Bewegungen. Sie trägt zur Entwicklung genauer Bewegungsvorstellungen bei. Über Muskeln, Sehnen und Gelenke werden dem Gehirn Informationen über die Muskelspannung und die Stellung der Gelenke zum Körper vermittelt. Über die gelenkte, deduktive Bewegungsausführung, unterstützt durch Bewegungshilfen oder durch experimentierende, induktive Bewegungsentwürfe läßt sich so eine Vorstellung der günstigsten individuellen Bewegungsausführung erarbeiten.

In der Regel ist Lernen ein Vorgang, in den alle Sinne, alle Wahrnehmungskanäle einbezogen sind. Deren Relevanz ist bei den Lernenden unterschiedlich gewichtet. Je mehr Arten der Erklärung nun angeboten werden, je mehr Kanäle der Wahrnehmung genutzt werden, desto fester wird das Wissen gespeichert, desto vielfältiger wird es verankert, verstanden und später wieder erinnert (Literaturtip: Frederic Vester: Denken, Lernen, Vergessen, München 1998).

Vor allem im Gruppentraining ist deshalb darauf zu achten, daß alle Wahrnehmungskanäle angesprochen werden: Der Vorhandschlag im Anfängerunterricht wird “für das Auge” demonstriert, gegebenenfalls durch Fotoserien verbildlicht und durch Videoaufnahmen präsentiert, er wird “für das Bewegungsgefühl” durch Bewegungshilfen, durch Führen der Bewegung unterstützt, er wird “für das Ohr” beschrieben. Die Multidimensionalität der Erklärungsarten und der Wahrnehmung (“hoher Input”) liefert zahlreiche Assoziationshilfen für die langfristige Aufnahme und Speicherung der Informationen im Langzeitgedächtnis und für deren Wiedererkennung. 

 

 

 

Die Gehirnphysiologie

 

Das menschliche Gehirn besteht aus drei Gehirnteilen. Während das “Reptiliengehirn” (Hirnstamm) und das limbische System die emotionale Stimulierung, Aktivierung und Motivation gewährleisten, werden Gedächtnisinhalte im Langzeitgedächtnis der Großhirnrinde (Neocortex) abgespeichert (siehe Bild 1). Das limbische System oder Zwischenhirn verarbeitet Informationen so, daß sie als Gefühle erfahrbar werden. Bei der Wahrnehmung von Gefahr, bzw. unangenehmen Erinnerungen, setzt es einen Streßmechanismus in Gang. Durch die Verbindungen der Großhirnrinde zum limbischen System sind Denken und Fühlen dicht miteinander verwoben. Streßhormone sorgen in Sekundenbruchteilen für eine weitgehende Lahmlegung das Großhirns.

Erst das unbewußte oder bewußte positive Erleben einer Lernsituation schafft die emotionale Grundstimmung, die den Zugang zu den Wahrnehmungskanälen und zu einer langfristigen Aufnahme von neuem Wissen und neuen Bewegungsabläufen im Großhirn (Neocortex) und damit im Langzeitgedächtnis ermöglicht. Eine unangenehme Lernumgebung kann eine emotionale Ablehnung bewirken und schließt die Türen und Zugänge.

Im Prozeß eines zielgerichteten, aber flexiblen Lernens beeinflußen periphere Reize (unbewußt wahrgenommene Reize) den Lernvorgang und die Verarbeitung der Informationen und “objektiven” Wahrnehmungen. Das beginnt mit der nonverbalen Kommunikation zwischen Trainer und Schülern und in der Schülergruppe. Beiläufig werden visuelle, akustische und taktile Reize verarbeitet. In einer kalten Halle zum Beispiel sind die Lernbedingungen von vornherein ungünstig. Auch Gerüche (olfaktorische Reize) können positive und negative Erinnerungen wachrufen.

Das Großhirn ist in zwei Hemisphären aufgeteilt (siehe Bild 2). Die linke Gehirnhälfte steuert die Bewegungen und empfängt (beim Rechtshänder) die Informationen der rechten Körperseite, die rechte Gehirnhälfte die der linken Körperseite. Beide Hälften sind weder in ihren Fähigkeiten noch in ihrer Organisation identisch. Untersuchungen über die Unterschiede der beiden Großhirnhälften (Hemisphären) kommen zu dem Ergebnis, daß beide Hemisphären ein und dieselbe Information unterschiedlich verarbeiten. Die linke Hälfte erfaßt Wahrnehmungen digital und logisch, arbeitet abstrakt und zielgerichtet. Die rechte Gehirnhälfte ist nonverbal und ganzheitlich orientiert. Sie erfaßt Dinge analog, intuitiv, gefühlsorientiert und kreativ: Beide Gehirnhälften gleichen zwei verschiedenen Menschen mit verschiedenen Begabungen, von denen nur einer auf die jeweilige Frage die Antwort geben darf. Im Idealfall wird die am besten qualifizierte Hemisphäre die jeweilige Frage beantworten.

Der Einsatz von Musik und Bildern bekommt unter diesen Gesichtspunkten eine neue Bedeutung (Unterstützung der rechten Gehirnhälfte). Auch Koordinationsübungen unter Einbeziehung der “schwachen” Körperseite dienen der Aktivierung der vernachlässigten rechten Gehirnhälfte. Zur Förderung der Zusammenarbeit beider Gehirnhälften und der verschiedenen Gehirnteile scheint sich besonders die Edu-Kinestetik, das “Lernen mit dem ganzen Gehirn” zu eignen (Literaturtip: Paul und Gail Dennison: Brain-Gym-Lehrerhandbuch, Freiburg 1995). Mittels Prinzipien aus der angewandten Kinesiologie können Energieblockaden gelöst werden, die die Gehirnfunktionen beeinträchtigen. Die effektive Zusammenarbeit beider Gehirnhälften ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da beim Tennis ständig Bewegungen über die Körpermittellinie ausgeführt werden. Sogenannte bilaterale Bewegungsfertigkeiten sind Grundvoraussetzung für die Koordination des ganzen Körpers und für die Leichtigkeit des Lernens im visuellen Bereich und damit für eine optimale individuelle Bewegungsausführung.

Ganzheitlich bedeutet, daß viele Wahrnehmungskanäle angesprochen werden. Ganzheitlich bedeutet aber auch, daß der Schüler in seiner Emotionalität, mit seinen positiven und negativen Selbstzuschreibungen, mit seinen unbewußten Suggestionen wahrgenommen wird und daß der Coach diese Wahrnehmung in die Gestaltung des Tennisunterrichts einbezieht. 

 

Der Coach

 

In einem ganzheitlichen Training ist der Coach nicht Macher, sondern Berater, Begleiter und Unterstützer des Lernenden. Die Akzeptanz seiner Autorität ergibt sich nicht aus “Allwissenheit” und autoritärem Auftreten, sondern aus seinem Fachwissen und daraus, daß sich der Lernende als gleichwertiger und ernstgenommener Partner mit eigenen Interessen und Zielen akzeptiert fühlt. Aufgabe des Coach ist es, negative Suggestionen (“das schaffe ich doch nicht”) durch positive zu ersetzen (“ich glaube fest, daß du das schaffst, und ich helfe dir dabei, wenn du Hilfe brauchst”).

Der Coach präsentiert sich im Auftreten und mit seinen technischen Fähigkeiten als mögliches Vorbild und ist v. a. für die Schaffung günstiger Lernbedingungen zuständig. Seine erfahrbare Begeisterung für “die Sache”, ein häufiger, freundlicher Blickkontakt, eine angemessene Gestik und das Signalisieren von Nähe und Zuneigung bewirken beim Lernenden eine aufmerksamkeitssteigernde Wirkung.